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Ein Land wie aus dem Kinderbuch

von Wolfgang Lechner

 

Die ganz und gar heile Welt, von der Astrid Lindgren erzählt, gab es auch in Schweden nie. Bullerbü und Saltkrokan sind heute nur noch Phantasie. Aber was für eine Rolle spielt das im Sommer, wenn die Tage lang und die Nächte hell sind, und die Familien wieder draußen auf den Schären leben?


Wer an einem Sommermorgen in Stockholm zum Strandväg hinuntergeht und dort am Kai einen kleinen weißen Schärendampfer mit dem Namen “Saltkrokan I” liegen sieht, der kann ruhig an Bord gehen, es ist der richtige Dampfer. Punkt zehn wird er zur Abfahrt läuten und vom Bollwerk ablegen und sich auf seine gewohnte Fahrt begeben, die bei den Inseln weit draußen endet, dort, wo das Meer beginnt. Die “Saltkrokan I” ist ein energischer kleiner Dampfer; seit mehr als dreißig Jahren macht sie dreimal in der Woche diese Fahrt. Wahrscheinlich weiß sie nicht, daß sie Gewässer durchpflügt, denen nichts sonst auf dieser Erde gleicht. Über weite Fjorde und durch schmale Sunde, an Hunderten von grünen Holmen und Tausenden von grauen Schären vorbei steuert sie unverdrossen vorwärts. Schnell geht es nicht, und die Sonne steht schon tief, wenn sie bei ihrer letzten Anlegestelle ankommt, der auf Saltkrokan, der Insel, von der sie ihren Namen hat. Weiter hinaus braucht sie nicht zu fahren. Hinter Saltkrokan fängt das offene Meer an mit kahlen Felsinseln und nackten Klippen, wo niemand wohnt als die Eidergans und die Möwe und andere Meeresvögel. Auf Saltkrokan aber wohnen Menschen. Nicht viele. Höchstens zwanzig. Das heißt: im Winter. Im Sommer sind auch noch die Sommergäste dort.
(Astrid Lindgren: “Ferien auf Saltkrokan” – 1964)

Die “Saltkrokan I” gibt es nicht mehr. Und eine bewohnte Insel namens Saltkrokan hat es im Archipel vor Stockholm nie gegeben. Es gibt nur jene beiden Inseln, die das Vorbild für Saltkrokan waren: Rödlöga, hinter der das offene Meer anfängt “mit kahlen Felsinseln und nackten Klippen”, und Norröra, wo vor dreißig Jahren der Film “Ferien auf Saltkrokan” entstand. Aber auch auf diesen Inseln leben heute keine Menschen mehr. Das heißt: im Winter. Im Sommer sind nach wie vor die Sommergäste dort.

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Und noch immer gibt es auf diesen Inseln jene Welt, von der die Menschen träumen, wenn sie das Wort “Saltkrokan” hören. Oder die Namen Tjorven, Pelle und Malin. Oder Melcher Melcherson.

Der ist ein schwärmerischer Schriftsteller aus Stockholm, verwitwet und Vater von vier Kindern. Er hat – so erzählt uns Astrid Lindgren in ihrem Buch – das Sommerhaus auf Saltkrokan nur gemietet, weil ihm der Name der Insel so gefiel. Und es kommt, wie es kommen muß: Das “Schreinerhaus” ist eine Bruchbude, der Stadtmensch Melcher ist dem Leben auf dem Lande nicht gewachsen – und trotzdem werden die Ferien auf Saltkrokan zu einem Traum, zu einem nicht endenden Abenteuer, zu einem unvergeßlichen Erlebnis für Melcher Melcherson und seine Kinder.

Woran Tjorven Grankvist eine großen Anteil hat, die unternehmungslustige Tochter des Krämers von Saltkrokan: Sie lehrt Melcher, daß es ein Leben jenseits der vernünftigen Erwachsenenwelt gibt. Und Melchers älteste Tochter Malin: Sie ist ihren Geschwistern eine zweite Mutter und holt ihren Vater, den Schwärmer, immer wieder auf den Boden zurück.


Saltkrokan – das ist eine wunderbare, bunte Welt, in der die Kinder noch barfuß laufen und auf Bäume klettern. Eine Welt mit roten Häusern und weißen Booten und zum Trocknen aufgespannten Fischernetzen. Die Kinder sind blond und ein bißchen pummelig in dieser Welt und meistens glücklich. Und wenn sie nicht auf Bäume klettern, spielen sie auf hölzernen Bootsstegen, fangen Fische und hecken Streiche aus, aber kein Erwachsener bestraft sie dafür, denn in dieser Welt sind nur die Kinder wichtig. Es gibt Mehlbeerbäume in dieser Welt, Heckenrosen, Seeschwalben, Eiderenten und Möwen, die hinter dem Fischkutter herkreischen, wenn er vom Fang nach Hause kommt.

Es gibt sie noch immer, diese Welt. Auf Norröra, Rödlöga und unzähligen anderen Inseln, nur ein paar Seemeilen vor der schwedischen Hauptstadt.

Und nach wie vor fährt das Schiff zu den Saltkrokan-Inseln vom Strandväg ab. Nur daß es heute kein Dampfer mehr ist, sondern zwanzig Knoten schnell. Es heißt “Sjöbris” oder “Sjögull” und es fährt elfmal in der Woche.

Die “Sjöbris” läutet auch nicht mehr zur Abfahrt: Sie tutet dreimal kurz, bevor sie sich rückwärts von der Kaimauer abstößt, dreht und ihre Fahrt aufnimmt – vorbei am neuen Vasa-Museum, am Vergnügungspark “Gröna Lund” mit seiner Achterbahn und seinen Karussells, am Freilichtmuseum Skansen und der gigantischen Finnlandfähre “Cinderella”.

Gleich hinter der gelben Villa des kunstsinnigen Prinzen Eugen aber beginnt die heile Welt der Stockholmer: Villen, Parks, Schlößchen, Yachthäfen und Sommerhäuser säumen das Ufer. Und der Freihafen mit seinen Kränen, Speichern und Silos duckt sich ganz hinten in eine Seitenbucht, als wäre die ungetrübte Fahrt auf die Schären viel wichtiger als Arbeit und Handel, als wären die Ostsee und wären die Schären nur für die Sommerfrische da und zum Genießen und Staunen.

Nur Olle Ahlstedt, der Computerspezialist von der Grydata AB, hat sein Handy dabei, sitzt an Deck der “Sjöbris”, hat kein Auge für die wunderschöne Umgebung und führt letzte wichtige Telefonate.

Das Klima im Land ist rauher geworden für die Schweden. Jeder Siebente ist arbeitslos, der gesetzliche Mindesturlaub wurde gerade von 27 auf 25 Tage verkürzt. Es gibt Karenztage und schmerzhafte Einschnitte in das einst hochgelobte Sozialsystem.

Noch sind die Familien etwas glimpflicher davongekommen. Aber auch im kinderfreundlichsten Land der Welt, das Schweden gerne wäre und vielleicht auch einmal war, auch in Schweden gibt es Kinder, die in tristen Hinterhöfen spielen müssen, Kinder, die in öden Mietskasernen aufwachsen, Kinder, deren Eltern keine Zeit für sie haben.

Vor fünfzig Jahren, als Astrid Lindgren ihre ersten Bücher schrieb, da lebte noch jeder zweite Schwede auf dem Land. Heute wohnen vier von fünf in der Stadt. Und die ganz heile Welt der Astrid Lindgren hat es ohnehin nur in ihrer Phantasie gegeben, in ihren Büchern und Filmen, als Konzept – und nicht einmal in ihrem eigenen Leben.

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  • Trauminsel
    Ab Furusund (Sommerhaus von Astrid Lindgren) fährt “Waxholmbolaget” mit kleinen Ausflugsschiffen (Krabbenbrötchen-Cafeteria an Bord) bis ganz raus auf die Insel Rödlöga. Dort gibts keine Autos, keine Zäune, keinen Lärm. Dafür ein Netz von Pfaden rund um die Insel und quer durch Wälder, Felsformationen, Sümpfe, Wiesen und Badestellen.Ausserdem ein romantisches Cafe und einen Krämerladen, der auf winziger Fläche alles hat, was man zum Leben auf einer Schäreninsel braucht.
    Vor der Tür an der Dorfeiche schaukeln die Kinder. Bullerbü pur! (Ferienhaus & Cottage zur Miete)
  • Schären-Abenteuer
    Mit dem eigenen Boot auf eine Insel. Vielleicht nur ein Stück Felsen, das aus dem Wasser ragt, mit 2 Kiefern drauf. Vielleicht ein grünes Floss mit Moos und Bäumen. Mal mit einem roten Haus drauf versteckt hinter Büschen, mal mit einem kleinen Dorf an der Anlegebrücke. Und über allem flattern die blaugelben Wimpel an den Masten. Jetzt vom flachen Stein direkt ins kalte Wasser, danach Sonnenbaden und ein kühles Bier. Es gibt tausende Möglichkeiten, in den Schären Robinson zu sein.
  • Holiday-Shopping
    Norrtälje bietet einen gigantischen Supermarkt (20 Sorten Knäckebrot), eine Filiale der staatlichen Alkoholmonopol Läden und schwedisches Kleinstadtfeeling in der Holzhaus-Fussgängerzone mit erstaunlich hippen Modeboutiquen (“Inse“) und Spielzeug-Höhlen (“Lek Planeten”, beide: Tullportsgatan).
  • Schwedens Zentrale
    In einer Stunde ist man bequem in Stockholm. Was sie hier Staus nennen, wäre in deutschen Grossstädten eine etwas längere Ampelphase. Design und Modeshopping. Museen. Helle klare Nächte mit Starköl.
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Doch einmal im Jahr, für ein paar kurze Wochen, wenn die Tage lang sind und die Nächte hell, da vergessen die Schweden ihren Alltag, ihre Probleme. Dann ziehen sie in ihre stuga, in das Sommerhaus. Und immerhin: Jeder zweite Schwede hat seine eigene Hütte irgendwo in der Natur, und am liebsten natürlich in den Schären.

Noch hilft auch der Staat mit Subventionen, um die Fahrt auf die Schären erschwinglich zu halten. Noch kostet die vier Stunden lange Reise von Stockholm nach Rödlöga nicht mehr als 65 Kronen, dreizehn Mark. Für Kinder ab sieben die Hälfte.

Auf dem Vorschiff der “Sjöbris” sind Fahrräder verstaut, Kinderkarren, Reisetaschen, Kühlboxen, eine Matratze und eine Rolle Kaninchengitter. Im Gepäckraum im Bauch des Schiffes stapeln sich Koffer, Rucksäcke und Einkaufstüten.

Birgitta, die es sich auf dem Sonnendeck bequem gemacht hat – im Bikini und die blonde Mähne zum Pferdeschwanz gebändigt -, Birgitta hat in einem Korb sogar ihr Kätzchen dabei. Ein schwarzweißes Kätzchen, das während der ganzen Fahrt maunzt und alle daran erinnert, daß hier nicht einfach auf Urlaub gefahren wird, sondern in die Sommerfrische. Und daß das heißt: Mit Sack und Pack und Mann und Maus. Hier wird ein Hausstand verlegt. Hier fahren Menschen von einem Alltags-Notquartier in ihr wirkliches Zuhause.

Nördlich von Vaxholm, im Stegesund, verlangsamt die “Sjöbris” plötzlich ihre Fahrt. Bis auf vier, fünf Meter läßt der Steuermann das Schiff an die Klippen steuerbords herantreiben, bevor er das Ruder hart backbord legt und eine gefährliche Untiefe umschifft. Grün schimmert der Felsen unter der Wasseroberfläche.

Birgitta aber kriegt von dem ganzen Manöver nichts mehr mit. Sie schläft tief und fest in der Sommersonne. Ist ja auch wieder spät geworden letzte Nacht!

Es ist nämlich verdammt schwer, in einer der hellen Stockholmer Sommernächte zu Bett zu gehen: In der Altstadt, im Kungsträdgården, rund um den Norrmalmstorg – überall tobt das Leben bis drei, vier, fünf Uhr früh. Wenn sich kurz nach Mitternacht der blaugraue Himmel schon wieder rosa färbt, stehen die Youngsters vor dem “Café Opera” Schlange, einem Neon-Tanzpalast in klassizistischem Ambiente, wird im “Café Victoria” getanzt und gezockt, spielt im Jazzkeller “Stampen” eine Rentnerband für das reifere Publikum.

In einer solchen Nacht ist alles möglich …

Überhaupt dieses Stockholm, diese Altstadt! Auch tagsüber. Eine Astrid-Lindgren-Wunderwelt mit verwunschenen Gassen und Plätzen, antikvariate für Sachensucher, ein Zauberer mit einem spitzen, schwarzen Hut.

Natürlich weiß jedes Kind, daß Pippi Langstrumpf eigentlich in Småland lebt, in Südschweden. Aber dieses Spiel von Licht und Schatten, das die Blätter der Bäume hier in der Altstadt auf die Hauswände zaubern, dieses Rauschen in den Baumkronen… Keinen würde es wundern, wenn der Große Onkel plötzlich um die nächste Ecke traben würde mit Pippi und Thomas und Annika auf seinem Rücken.

Und diese halbautomatische, drehbare Eiswaffelmaschine im Glasscafé “Kåkbrinken”, mit sechs elektrischen Waffeleisen, die nacheinander aus einem Teig-Hahn gefüllt werden und nacheinander, in unendlicher Reihe, eine Unmenge duftender goldgelber Eiswaffeln erzeugen – wer könnte eine solche Maschine erfinden als Karlsson vom Dach?

Und plötzlich, am hellichten Tag, schiebt ein Mann in Frack und Ordensschärpe sein Fahrrad durch die Straße. Und im “örtagården” an der alten Markthalle gibt es am vegetarischen Buffett Spinatpfannkuchen mit Honig, davon darf man für 65 Kronen so viel nehmen, wie man schafft. Und Pippi Langstrumpf ißt sie am liebsten mit …

“Tuut! Tuut! Tuut!” – Als die “Sjöbris” sich wieder einmal von einer Kaimauer abstößt, als sie wendet und weiterfährt, schrecken ein paar Passagiere aus ihrem Mittagsschlaf hoch. Und Birgitta mit ihrem Katzenkorb ist verschwunden.

Längst hat die “Sjöbris” die Stockholmer Bucht hinter sich gelassen, längst gibt es links und rechts und vorne und achtern nur noch die Schären. 24.000 einzelne Inseln und Inselchen, und hier heraußen erst wird diese unglaubliche Zahl aus dem Geografiebuch glaubhaft. 24.000 Inseln, und jede anders: mal ein Stück Felsen, das direkt aus dem Wasser kommt und nur von zwei Kiefern bewachsen ist, mal einem bewaldeten Floß gleich mit Birken und Tannen. Mal ein Haus allein auf einer Insel, dann wieder ein richtiges kleines Dorf rund um die Anlegebrücke. Manche Häuser im Wald versteckt, andere stolz auf einer Anhöhe. Die meisten Häuser rot mit weißen Fenstern, Kanten und Giebeln, dazwischen aber auch einzelne gelbgestrichene Häuser, und aus irgendeinem Grund wirken die vornehmer als die roten.

Und immer wieder Fahnenmasten, weiße Fahnenmasten mit langgestreckten, dreieckigen, blaugelben Wimpeln.

Wer aussteigen will, sagt dem Bootsjungen Bescheid, und dann dreht die “Sjöbris” auf die nächste Anlegebrücke zu, wird kaum langsamer, erst im letzten Moment legt der Steuermann den Rückwärtsgang ein, nur ein paar Sekunden, höchstens eine Minute lang berührt der abgestumpfte Bug die Brücke, der Bootsjunge hilft beim Aussteigen, es muß schnell gehen. Zum Vertauen ist keine Zeit, die “Sjöbris” muß weiter, es gibt noch so viele andere Inseln!

Auf dem Anlegesteg aber umarmen die Angekommenen ihre Freunde und ihre Nachbarn. Endlich! Geschafft! Der wunderbare Schären-Sommer kann beginnen! Schon bald darauf wird Göran den Rasen vor der stuga mähen und Karin wird die Zimmer lüften und die Betten beziehen, und die Kinder werden das Ruderboot flottmachen und die Schwimmwesten nehmen und zum erstenmal in diesem Sommer hinausrudern und vielleicht ein paar Heringe fangen für das Abendessen, ein paar Strömlinge.

Lorenz und seine Eltern schließlich steigen auf Blidö aus.

Lorenz ist erst drei Jahre alt, aber dieser Sommer in den Schären ist sein vierter. (In Schweden zählen nur die Sommer.) Und seit ihm Elena, seine Mutter, “Ferien auf Saltkrokan” vorgelesen hat, fragt Lorenz dauernd nach Tjorven. Er versteht nicht, warum er nicht mit ihr spielen kann.

Wenn Lorenz größer ist, werden seine Eltern mit ihm nach Norröra fahren und ihm das echte Schreinerhaus zeigen. Lorenz wird Menschen treffen, die sich noch an die Dreharbeiten zum Saltkrokan-Film erinnern. Und vielleicht werden Lorenz und seine Eltern einmal über den Strindbergsväg auf Furusund spazieren, und Elena wird auf das rote Haus mit der Hausnummer fünf zeigen und wird sagen: “Schau mal, das ist Astrid Lindgrens stuga!”

Seit bald fünfzig Jahren verbringt die berühmteste aller Schwedinnen ihre Sommer in dem alten Lotsenhaus auf Furusund.

Es ist das eigentlicht Geheimnis ihres Erfolgs: daß sie nur über Dinge geschrieben hat, die sie sehr, sehr gut kennt. Deshalb leben Pippi Langstrumpf und die Kinder aus Bullerbü und Michel aus Lönneberga in Småland, wo Astrid selbst aufgewachsen ist. Und deshalb hat Astrid Lindgren jahrelang gezögert, als ihr Verleger von ihr ein Buch über das Leben in den Schären wollte.

Erst 1963 hat sie seinem Drängen nachgegeben, hat zuerst das Drehbuch für den Film geschrieben, dann den Roman “Ferien auf Saltkrokan”, und hat den Witwer Melcherson erfunden und seine Kinderschar.

Und heute, drei Jahrzehnte später? Astrid Lindgren ist präsent in Schweden. Nicht nur in der “Astrid Lindgrens Welt”, jenem Pippi-Langstrumpf-Park von Vimmerby in Småland. Nicht nur in den barnbok-, den Kinderbuch-Abteilungen der Buchläden.

Präsent ist Astrid Lindgren vor allem durch ihre Werke und ihre Figuren, und durch ihr Konzept von einer besseren Welt für die Kinder und all die anderen Menschen. Ein Konzept, das sie in einem einzigen Satz über ihre eigene Kindheit zusammenfaßt: “Wir hatten Geborgenheit und Freiheit. Und das war genug.”

Vielleicht sind sogar die Kinder in Schweden selbstbewußter und die Eltern liebevoller.

Vielleicht? Nein: Ganz sicher ist selbstbewußter, wer mit Ronja Räubertochter aufgewachsen ist, und liebevoller, wer seinen Kindern von Melcher Melcherson vorgelesen hat.

Und noch ist auch die 87jährige Astrid Lindgren selbst in Schweden präsent, auch wenn sie heute zurückgezogen in ihrer Stockholmer Etagenwohnung an lebt oder im Sommerhaus auf Furusund. Wenn sie nicht mehr gut sieht und nicht mehr gut hört und keine Bücher mehr liest und nichts mehr schreibt.

Immer wieder hat sie sich Gehör verschafft, hat 1976 im Märchen von der Hexe “Pomperipossa in Monismanien” gegen zu hohe Steuersätze polemisiert (und angeblich die sozialdemokratische Regierung gestürzt), hat für eine humanere Tierhaltung gekämpft und gegen Kindesmisshandlung, hat sich für die Erhaltung der typischen Flechtzäune eingesetzt und 1987 in einem Brief an Michail Gorbatschow für den Frieden in der Welt.

Noch immer hat in der öffentlichen Diskussion in Schweden gute Karten, wer Astrid Lindgren zitieren kann. Und Zitierfähiges hat sie wahrlich genug gesagt. Nicht nur zur Politik.

“Ich wohne”, sagte Astrid Lindgren zum Beispiel einmal, “im schönsten Land der Welt: Hier gibt es alles, vom Lichten und Lächelnden bis zum Dunklen und Ernsten, oft auf die bezauberndste Weise gemischt.”

Licht sind die Sommer in Schweden. Dunkel sind die Winter. Wahrscheinlich ist das die wirkliche Faszination des schwedischen Sommers: daß er so kurz und so hell ist und der Winter so lang und so dunkel.

Vielleicht macht das den ganzen schwedischen Sommer aus: Dass sich Lorenz und seine Eltern, und Göran und Karin und Birgitta und all die anderen Sommergäste noch einen Winter lang (und ihr ganzes Leben lang) daran erinnern werden, wie hell die Nächte auf den Schären waren. Und wie moosweich das Gras vor der stuga, durch das sie barfuss laufen konnten.

© Wolfgang Lechner – 1994
Quelle: efraimstochter.de

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